einbeziehen

als dazugehörend betrachten

 

 

Was für ein wunderbares Verb: etwas nicht übersehen, nicht ausklammern, jemanden nicht ausgrenzen, alles berücksichtigen, alles und alle hineinnehmen, integrieren.

Ein positives Verb! Seine Konjugation indes birgt Tücken: Ich einbeziehe, du einbeziehst, sie einbezieht; wir einbezogen; einbeziehe doch bitte auch diesen Aspekt in deine Überlegungen!

In alles, was wir denken, entscheiden, beabsichtigen, tun – müssen wir manches einbeziehen. So müssen wir auch beim Konjugieren dieses Verbs etwas einbeziehen, nämlich die Besonderheit seiner Konjugation: das Thema Verbzusatz und Vorsilbe.

 

Auch in das Bild, das wir uns trotz der Warnung von Max Frisch und der Bibel – „du sollst dir kein Bild(nis) machen“ – fortwährend von der Gesellschaft, von anderen Menschen machen, beziehen wir manches ein. Das Bild wird dann genauer; daran sollten wir ein Interesse haben auch dann, wenn das, was wir in unser Bild von anderen Menschen einbeziehen, uns irritiert, uns schmerzt, wenn es das Bild verunreinigt, vielleicht gar zerstört.

In das Bild von einem uns seit vielen Jahren ganz und gar vertrauten, ja geliebten Menschen müssen wir beispielsweise einbeziehen, wie er – für uns schockierend – die Corona-Pandemie erklärt: als Inszenierung der beiden „verbrecherischen“ Organisationen WHO und IWF, welche die Zerstörung unserer Welt beabsichtigen, damit sie eine neue Welt nach ihren Vorstellungen und finanziellen Interessen und nach jenen der mächtigen Konzerne Apple, Google, Amazon, Facebook und Microsoft installieren können. Die beiden Organisationen benutzen – so die Sichtweise des geliebten Menschen weiter – dabei als Mittel für die Zerstörung der Welt die Pandemie und schüren die weltweite Angst davor. Möglichst viele Opfer sollen die Gefährlichkeit des Virus zeigen, dem nur mit einer Impfung beizukommen ist, wobei das Ziel die Impfung aller Menschen via Impfzwang ist, was wiederum im Interesse der mächtigen Pharma-Industrie liegt. Opfer werden durchaus absichtlich herbeigeführt, indem an Spitälern Covid-19-Patienten absichtlich falsch behandelt und dadurch in den Tod geführt werden … und so weiter.

Solche Ansichten, solche Überzeugungen gehören nun offenbar plötzlich zu dem geliebten Menschen, auch wenn wir das nicht zu verstehen und überhaupt nicht einzuordnen vermögen, auch wenn es uns völlig überrumpelt. Wir müssen sie als zu ihm gehörend betrachten, müssen sie ins Bild einbeziehen, das wir von ihm haben. Wir können gar nicht anders, als alles in dieses Bild einzubeziehen, als diese Ansichten neuerdings als zu diesem geliebten Menschen dazugehörend zu betrachten.

 

So erkennen wir, dass dieses Verb, das auf den ersten Blick etwas so Positives, Integratives besagt, durchaus auch etwas Schmerzhaftes meinen kann, etwas, das uns, allerdings, ganz arg bewegt.

 

Und wir müssen auch in das Bild, das wir uns von uns selbst machen, alles einbeziehen und der Versuchung widerstehen, es schönzufärben, indem wir Unangenehmes ausblenden, vergessen, übersehen, ausschliessen. Denn auch das, was uns an uns selbst unangenehm ist, existiert nun einmal und will offenbar in uns existieren, wie es auch im folgenden Zitat von Adolf Muschg* zum Ausdruck kommt:

*aus: „Liebe, Literatur & Leidenschaft“ von Adolf Muschg,  © Pendo Verlag AG, Zürich 1995

 


Caspar Bieler _einbeziehen